Ereignisreich schön waren die letzten Herbstmonate. Herbst – eine Jahreszeit, wo die Arbeiten abzuschliessen sind und die Ernte einzuholen ist, bevor der Winter kommt; eine Jahreszeit, wo nicht nur die Vorratskammern gefüllt werden, sondern auch das Saatgut für den nächsten Frühling sorgsam beiseite gelegt wird; eine Jahreszeit, wo sich Wind und Wetter von allen Seiten zeigen und den Betrachtenden der Natur einfach staunen lassen. Eine schöne Jahreszeit!
Meine letzten Forschungsarbeiten zu Taiji konnte ich erfolgreich abschliessen. Der interessierten Leserschaft stelle ich gerne alle meine wissenschaftlichen Fachpublikationen zur Verfügung. Diese habe ich unter der Rubrik „Taiji“ bei den Literaturempfehlungen aufgeführt. In einem Satz zusammenfassend lässt sich sagen: Taiji ist für das körperliche und geistige Wohlbefinden eine wirklich gute Sache mit einem ausserordentlich grossen Nachhaltigkeitspotenzial. Also, nichts wie auf zur Selbsterfahrung! 🙂 Es war mir eine grosse Freude, verschiedene Facetten dieser einzigartigen Bewegungsform einem grösseren Publikum im Berner Stadttheater vorstellen zu dürfen. Anlässlich einer Vortragsreihe der Frauenklinik über schul- und komplementärmedizinische Behandlungsansätze in der Menopause konnte ich nicht nur aktuelle Studienergebnisse aus der Taiji-Forschung präsentieren, sondern auch gemeinsam mit Tina Wilhelm das kulturelle Rahmenprogramm gestalten.
Jeweils zwischen den Kurzvorträgen haben wir das Publikum mit verschiedenen Taiji Formen im Zusammenspiel mit einer breiten Palette von Alphornstücken zunächst wohl etwas überrascht, denn ein solches Duett gibt’s nicht alle Tage zu sehen 🙂 Mit jedem Intermezzo waren mehr leuchtende Augen im Publikum zu sehen, sodass zum Abschluss schliesslich alle Anwesenden begeistert die Gelegenheit zum Mitmachen genutzt haben. Taiji in so einer feierlichen Räumlichkeit zu kraftvollen Bergklängen mit über 120 Leuten gemeinsam zu erleben – das war schon etwas ganz Besonderes! Mir ist es ein grosses Anliegen, dass Taiji bei den Leuten nicht als etwas exotisch Mystisches aufgefasst wird, stattdessen die Bewegungen und ihre Wirkungen möglichst praktisch und unmittelbar selbst erfahren werden.
Verschiedene Weiterbildungen habe ich diesen Herbst besucht. Von der Breite in die Tiefe und wieder zurück … so fühlte sich bei mir jedesmal das Eintauchen in die Workshops von Tony Ward an. Dieses Jahr hatte ich gleich zwei mal – sowohl im Frühling als auch im Herbst – Gelegenheit dazu. Obwohl – oder vielleicht gerade weil sich die Workshop-Inhalte auf ein paar wenige, und von aussen her betrachtet relativ einfache Übungen beschränkten, war das Üben und Lernen sehr vertiefend und intensiv. Immer wieder gab es in den gut vertrauten Bewegungsabläufen neue Aspekte zu entdecken. Was, wenn plötzlich der Ellenbogen zu sprechen beginnt? Ist man dann auch bereit auf diesen zu hören? Oder muss man ihn zuerst kräftiger zu fühlen bekommen? (siehe Abbildung unten)
Spannende Fragen, die zur bewussten Erfahrung grundlegender Bewegungsprinzipien führen können, die – und das finde ich eben etwas vom tollsten im Taiji! – nicht nur im Taiji ihren Geltungsbereich haben, sondern sich sehr gut auch auf alltagspraktische Aspekte übertragen und vor allem auch anwenden lassen. Die Arbeit mit Tony Ward – einem sehr erfahrenen Taiji-Lehrer aus Sydney – überzeugt in ihrer Einfachheit, Weichheit und Stärke. „If there is a conflict, it’s yours. Yield to every push. Relax your center from leg to leg and follow your partner… then you can go behind the force.“ Diese Sätze werden mir gut in Erinnerung bleiben! Neben den lehrreichen Workshop-Stunden hatte ich auch in Amsterdam – das war der Veranstaltungsort – eine prima Zeit! Die Stadt mit ihren alten Handelshäusern an den Grachten, ihren vielen Fahrrädern und gemütlichen Cafés wirkte auf mich sehr freundlich und einladend. Mit dieser Stadt wird es bestimmt ein Wiedersehen geben – da bin ich mir ganz sicher 🙂
Zurück in der Schweiz ging’s dann auch bald schon wieder weiter. Ziemlich spontan habe ich mich für das diesjährige Tai Chi Tcho Treffen in La Chaux-de-Fonds angemeldet. Das war eine gute Entscheidung 🙂 Es ist das einzige Internationale Taiji-Treffen in der Schweiz, dass alle zwei Jahre stattfindet, wo Taiji-Praktiziernde aller Stufen eine vielzahl von Workshops bei Lehrern und Lehrerinnen aus aller Welt besuchen können. Cornelia Gruber und ihr Team aus freiwilligen Helfern haben dieses Treffen auch dieses Jahr sagenhaft organisiert! Es wurde hervorragend gespiesen, für Übernachtungsmöglichkeiten wurde gesorgt, auch gab es einen Taiji-Gala Abend, wo die Lehrer und Lehrerinnen ihre Partnerübungen, Hand- und Waffenformen zum Besten gaben und zum Schluss gab es eine freie Tuishou (= „schiebende Hände“ oder auch „pushing hands“) Runde, wo man sich gegenseitig auf Druck- und Zugstabilität prüfen konnte. Alle 10 min war Partnerwechsel angesagt und die Bandbreite der sagen wir mal „Test-Stärke“ reichte von hauch-feinem craniosacral-therapeutischem Kontakt bis hin zum kraftvollen Abschleppwagenseilzug. Für mich als bekennender „Weich-Pusher“ war das wieder einmal eine sehr eindrucksvolle, zum Teil spielerische, zum Teil konfrontative und in jeder Hinsicht bereichernde Erfahrungswelt. Da bin ich in zwei Jahren gerne wieder mitdabei 🙂
Dieses Jahr sind gleich mehrere spannende Weiterbildungsveranstaltungen auf den Herbst zu liegen gekommen, so auch jene der Schweizerischen Gesellschaft für Taiji und Qigong (SGQT) zum Thema „Zhan Zhuang Qigong – Stehen wie ein Baum“ mit Peter den Dekker aus der besagten schönen Stadt zu Amsterdam. Mit dem stillen Stehen habe ich mich in meiner Vergangenheit immer wieder aus verschiedenen Beweggründen befasst. In seinen vielfältigen, mehr oder minder bewussten Ausprägungsformen begegne ich diesem Phänomen des stillen Stehens tagtäglich, sei es an der Busshaltestelle, an der Migros-Kasse, im Tram, beim Kochen, Zähneputzen, auf dem Spielplatz oder natürlich eben auch beim eigenen Üben und Unterrichten. Daher war dieser Workshop ein klares Muss für mich, der mir dann auch wertvolle Anregungen schenkte.
Ausserordentlich viel lief diesen Herbst und es ist gut, dass jetzt der Winter kommt, wo sich alles zur Ruh setzen und verdaut werden kann. Passend dazu hat kürzlich einer meiner ältesten Taiji-Schüler aus dem Domicil Wohnheim die folgenden Gedichtszeilen von Christian Morgenstern rezitiert:
Zu Golde ward die Welt;
zu lange traf
der Sonne süsser Strahl
das Blatt, den Zweig.
Nun neig, dich, Welt hinab
in Winterschlaf.
Damit stimmig haben auch meine diesjährigen Weiterbildungen mit dem stillem Stehen einen ruhigen Abschluss gefunden. Übungspraktisch geht es aber bewegt weiter und ich freue mich auf die weiteren Taiji-Stunden in Bern und Zürich. Einzig in ihrer Art und daher besonders erwähnen möchte ich die Taiji-Kursgruppe am Zürcher Universitätsspital. Da treffen wir uns jeweils Montag- und Mittwochmorgens in der Früh draussen im Park zum Üben. Die Temperaturen sind zwar etwas kühler geworden, doch in warmen Jacken gepackt ist das Taiji-Übungsprogramm dynamisch-kräftigend und der Start in den Arbeitstag garantiert 100% natürlich frisch 🙂 Wer Lust hat dazu zu stossen, sei jederzeit herzlich willkommen! Platz im Freien hat es – ganz im Sinne von „space 2 be!“ – mehr als genug 🙂