Zum ersten Mal in Tuchfühlung mit einer Jurte bin ich 2004 gekommen. Damals war ich für ein Auslandstudienjahr nach China gereist und habe an der Sportuniversität in Beijing Chinesische Sprache und TCM studiert. Dankbar war ich um einen verlängerten Wochenendausflug zusammen mit meinem Taiji-Lehrer und seinen Schülern, denn es ging raus aus der engen, stickigen Hauptstadt weit hinaus nach Hohot, dem Hauptort der inneren Mongolei.
Von dort aus wurden wir von Lao Liu, unserem einheimischen Fahrer, in ein entlegenes Jurtendorf gebracht. Dort wurden wir verköstigt und beherbergt. Ich erinnere mich noch sehr gut an den hochprozentigen Willkommenstrunk, an die archaisch anmutenden mongolischen Gesänge begleitet von den weinerlichen Klängen der Erhu, … doch besonders eindrücklich war für mich der grosse, freie Himmel über der weiten Steppe.
In der Nacht war er mit unzähligen funkelnden Sternen übersät und in der Kälte des frühen Morgens hies er die ersten Sonnenstrahlen willkommen. Ausser den paar Jurten war weit und breit nichts als weiter, freier Raum zum Sein. Himmel und Erde schienen mir einander so nahe zu sein, wie noch nie zuvor.
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Obwohl mir diese zwei Tage in der kargen Natur damals so unglaublich gut taten, schlummerten die Erinnerungen an dieses Erlebnis mehrere Jahre still und warm tief in mir. Erst vor einem Jahr, als ich erfahren hatte, dass es auch hier in der Schweiz ein Jurtendorf gibt, da wurden meine unter den Staubschleier der Zeit geratenen Erinnerungen – wie von einem hellen Glockenklang berührt – wieder wach. Im Internet fand ich die Webseite des in Luthernbad gelegenen Jurtendorfes und machte mich da erst einmal über dessen Konzept und Angebote sachkundig. Der erste und zugleich auch längste Anlass im Jahr findet jeweils im Frühling statt.
Während eines Monates werden die Gästejurten aufgebaut und alle Vorbereitungen für die bevorstehende Saison getroffen. Diese Gelegenheit um die Jurte von Grund auf kennenzulernen, hatte ich gleich letzten Frühling genutzt. Eine Woche lang packte ich beim Jurtenaufbau, beim Knüpfen der Scherengitter, als auch beim Ausbessern der verbindenden Pfade mit an.
Es waren sehr intensive und lehrreiche sieben Tage mit vielen beschenkenden Erfahrungen und Begegnungen. Zu jener Zeit hatte ich mich auch mit den klassischen Schriften der Yang-Familie über die Bewegungsprinzipien im Taiji befasst. Sehr oft musste ich beim Verrichten der Arbeiten innehalten, denn immer wieder war ich freudig überrascht, wesentliche Taiji-Prinzipien im Aufbau der Jurte gespiegelt zu finden.
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Diesen Herbst war ich wieder im Jurtendorf und habe in der Familienlagerwoche teilgenommen. So wie jede Jurte für sich ihren Platz im Dorf hat, so hatte auch jede Familie ihren Raum im Ganzen. So wie alle Jurten über die Pfade miteinander verbunden sind, so entstanden auch mit jedem neuen Lagertag immer mehr verbindende Erlebnisse unter den Teilnehmenden. Das vergnügte Spielen der Kinder war für mich der schönste Ausdruck der gelassen-heiteren Lagerstimmung. Ein spezielles Lagerprogramm gab es nicht, und vielleicht kam es ja gerade auch deshalb zu schönen Stunden stimmigen Beisammenseins: In der Gemeinschaftsjurte als auch unterm freien Himmel entstanden Kreistänze, Sing- und Klangringe, Lagerfeuer und natürlich auch kreative Taiji-Bewegungen mit Gross und Klein … alles hatte seinen Raum und seine Zeit.
Auf’s nächste Jahr ausblickend freue ich mich sehr im September einen zweitägigen Taiji-Workshop im Jurtendorf anzubieten. Das natürlich Schöne und mühelos Kraftvolle der Taiji-Bewegungen an so einem naturverbundenen Ort entfalten zu lassen – das wird etwas ganz Besonderes sein!